Nordkaff II
Børselv, nicht mal das Dorf
Wenn man Lakselv in Richtung Norden verlässt, also vorher ostwärts, dann nordwärts, fährt man am Fjord entlang bis man nichts mehr findet. Am Ende von Nichts kommt Børselv. Dort ist aber nicht echt Nichts. Eine echte Gemeinde, wo man sich trifft, die Bibliothek benutzt, in die Kirche geht - ja, wie man so lebt und liebt. Sonst nix.
Man glaubt es nicht, aber niemand in Børselv traut sich, ohne Angelschein auf Lachs zu gehen. In meiner Heimat würde man sagen, nimm die Rute und zieh von dannen. Nix hier! In Deutschland würde man über die dämlichen Bürokraten schimpfen. Hier in der Wildnis schimpft niemand über nix, man drückt so umme 45 Euro für die staatliche Angelgenehmigung und weitere 40 für jeden Tag, um seine Angel in den Fluss tunken zu dürfen. Ein echter Luxus auch in Norwegen, wo man ein Vermögen für ein Essen zahlen muss - ohne Alk, ehrlich!
Als ich in den USA einen ähnlichen Unfug erlebt hatte - bei zwei Angelscheinen für das Boot und drei Insassen musste man angeben, wer die beiden Ruten hält - hatte ich gedacht, die spinnen, die Amis! Die dritte Person im Boot durfte nur die Hamburgers richten, aber nicht angeln. So etwa 700 km nördlich des Polarkreises isses auch so. Wildnis!
In der Nähe fließt - na, was denn? - kaltes Wasser, in dem sich manche auf Lauer legen, um die Lachse zu beobachten. Mir war es lieber, auf den Felsen zu steigen und die Rute zu schwingen. Pech gehabt - wenn der Köder auf der anderen Seite landet, muss man entweder eine halbe Stunde oder mehr um den Fluss watscheln, um darüber zu machen. Oder die Leine kappen!
Leine kappen? Gegen meine Anglerehre! Ich versuchte, den Köder vom Gras zu befreien, und hatte Glück. Weniger Glück indes war mir mit den Lachsen beschieden. Da unten im Fluss lag ein kapitaler Lachs und dachte nicht daran, sich für meinen Köder zu entscheiden. Ich probierte es mit meinen beiden Angeln, Fliege und Blinker, bis mir klar wurde, die Norweger zocken mich ab. Und die Lachse machen mit!
Als Angler vom Salzwasser habe ich keine Chance hier. Und es ist allemal billiger, den Lachs aus der Tiefkühltruhe bei Aldi zu angeln. Oder? Wir versuchten, unser Glück zu überlisten, bis die Nacht kam … Und? Sie kam nicht, weil sie erst in drei Wochen dran war! Das war auf dem linken Bild.
Auf dem rechten Bild indes herrscht Polarnacht, die Sonne steht unten Gewehr bei Fuss, hat aber nicht die Absicht, zu früh zu erscheinen. Drei, fünf oder gar sieben Tage oder Wochen Dämmerung? Das ist Børselv.
Der Fjord ist voll Eis und Schaum. Wotan lässt seine Wut spüren, wenn man den Mülleimer weg trägt. Ganz weit unten ist er, der Müllcontainer. Der Grill friert zwar nicht, will aber erst in fünf Monaten anständig arbeiten. Der Blick reicht weiter als überall sonst in der Welt, trifft aber keine vertrauten Figuren. Hier kommen einem keine Menschen entgegen, auch keine Trolls. Die sitzen wohl in der Höhle des Mountain King und lassen sich mit der Musik von Edvard Grieg berieseln. Weite, unendliche Weite und unendliche Ruhe. Bei mir zu Hause hörte sich der Lärm der Großstadt danach als Höllenspektakel an - an unserer Musikskala gemessen liegt er eher bei den Geräuschen eines Tonstudios. Wir wohnen am Wald. In Børselv herrscht Ruhe! Echt!
Wer hierher will, muss ordentlich stabil sein. Der Flug dauert etwa so lang, wie man bis etwa Singapur braucht. Man fliegt zwar keine 10.000 km, aber man ist nicht von dieser Welt. Nach Singapur fliegt man auf der Rennstrecke der Zivilisation, Børselv hingegen befindet sich am A… der Welt. Dafür trifft man hier Menschen, die es woanders bestimmt nicht gibt. Ein Norweger, der sich in die Gegend verirrt hatte, sagte mir auf einer tropischen Insel, er wäre dorthin ausgewandert, nachdem er die Menschen in der Finnmark erlebt hatte. Gegen die kam er sich weich und mickerig vor. Immerhin war dieser Vikinger etwa zwei Meter groß! Und Børselv ist härter als Finnmark.
Original dieses Bildes: Alexandra Franke
Yarramalong ist das Land der wilden Pferde