Cities of the world

 
 

Tokio kennen offenbar viele Leute, was man daran erkennt, dass sie die Stadt als sehr teuer bezeichnen. Stimmt - und stimmt wieder nicht. Man kann dort lässig 150 $ für ein Steak loswerden, ohne Beilagen freilich. Wer will, bekommt auch Perrier in echten Flaschen, abgefüllt in Frankreich und um die halbe Welt geschippert. Man kann aber auch für acht Dollar satt werden. Teuer ist also relativ. Die vielen Gruselgeschichten sind nicht unbedingt wahr, es gibt aber welche, die man hier nicht einmal glauben will. So z.B. den Beruf des U-Bahn-Stopfers! Diese Herren (Damen gibt es in diesem Beruf aus verständlichen  Gründen nicht viele) bauen sich hinter der Menge auf, die sich vor der eingezeichneten Stelle am Bahnsteig versammelt, an der die Türen der U-Bahn garantiert aufgehen. Der Zug hält wirklich Zentimeter genau. Ein Teil der Menschen schafft es, auf eigenen Füßen und auf eigenen Wunsch den Waggon zu betreten. Der Rest wird gnadenlos hinein gestopft, wobei sich der Stopfer an den Griffen festhält und die Leute hinein tritt. Während der Fahrt muss man sich nicht festhalten, weil niemand umfallen kann. Sieht etwa so aus wie in dem Video.

Wem das zu volksnah ist, kann es mit einem Taxi versuchen. Die Taxen, die ich betreten hatte, waren mit Tüchlein geschmückt wie der Kaffeetisch meiner Mutter, weiß und hübsch bestickt. Der Fahrer trägt Handschuhe - aber nicht wegen des Schmutzes. Gott verhüt´s! Die Handschuhe sind weiß und bleiben weiß. Was aber noch erstaunlicher ist, dass der Fahrer während der Fahrt weder grummelt noch flucht, wie ein Berliner Kutscher oder ein Cabby in Sydney täte. Nein, er bleibt ruhig am Steuer, obwohl der Verkehr aus einem Stau in Paris potenziert mit der rush hour aus London (früher) besteht. Nur einen Fehler haben die Jungs. Sie können Visitenkarten von Hotels nicht immer lesen, wenn diese für die Touris in Latein beschriftet sind. Andersrum können die Touris nicht …

Wenn man in einem Hotel etwas auswärts wohnt und sich ein frühes Aufstehen leistet, wird man Zeuge eines unnachahmlichen Vorgangs: Die noch ziemlich klare Luft, in der man die aufgehende Sonne als solche erkennen kann, wird zunehmend von unten durch eine Dreckwolke getrübt. Wer im 6. Stockwerk oder höher wohnt, kann öfter mal den Blick nach unten verlieren, er sieht nichts mehr. Tokio ist eine der dreckigsten Städte der Welt, was die Luftverschmutzung angeht. Aber sonst? Jeden Morgen schwärmen die Reinigungskräfte in Tokio aus und säubern die Gehsteige, U-Bahnhöfe und Straßen. Nichts bleibt zurück; selbst die kleinste Zigarettenkippe und auch der ausgespuckte Kaugummi kommen in den Müllsack. Japan ist ein vorbildlich sauberes Land und seine Bewohner halten ihre Straßen und Plätze peinlich sauber.

Als Fischer und Angler musste ich naturgemäß den großen Fischmarkt sehen, der weltberühmt ist. Ich hätte es lieber sein lassen sollen. Gesehen habe ich nur ein riesiges Kühlhaus, in dem tiefgefrorener Fisch gehandelt wird. Die Tune, die ich von zuhause in schillernden Farben kenne, wie man noch einige Minuten nach ihrem Tod sehen kann, waren Eisklötze ohne Kopf und Schwanz. Während meine Bekannten Fisch als Ganzes gegrillt essen, und alles außer Eingeweide auf den Teller bekommen, essen Japaner ja Sushi oder Sashimi - beides klein gehackt. Wer soll Fischköppe aus Italien hierher transportieren, um sie wegzuwerfen?

Wenn einer Japanern vorwirft, Fisch klein zu hacken, ist ein böser Ignorant. Denn kaum ein Volk versteht es so gut, Fisch zuzubereiten. Und zuzuschauen, wie Sushi gemacht wird, ist ein Vergnügen für sich. Die Köche sind wahre Künstler, die aus einer Gurke 10 m Film schälen, um die Teller zu schmücken. Und wie sie mit dem Damastmesser Fisch in leckere Scheiben zerlegen, kann ihnen niemand nachmachen. Allein deswegen würde ich wieder nach Tokio fahren.

Die japanische Küche bietet allerdings mehr. Man müsste eher von vielen Küchen sprechen. Steaks von Koberindern, die ein Leben lang massiert werden, damit ihr Fleisch sich sanft beißen lässt, Garnelen, die vor den weit geöffneten Augen von Europäern auf der Kochplatte hüpfen, bevor sie ihrer Bestimmung zugeführt werden, u.v.a.m. Egal was man isst, es ist meistens fettarm, und der Fleischverzehr bescheiden.

Extrem teuer ist der mittlerweile weltbekannte Fugu, ein Fisch, der einen schnell auf Wolke Acht bringen kann, wenn der Koch nicht zertifiziert ist. Fugu ist Kugelfisch im Allgemeinen, und den gibt es mittlerweile auch am Mittelmeer. Nur wissen die armen Leute dort nicht, was man daraus machen soll. Die nennen die Viecher Ballonfisch, was stimmt. Dass der Ballonfisch ihnen die Angeln kaputt beißt und die Netze räubert, dagegen sind die Menschen vom Mittelmeer machtlos. Fugu kann tödlich sein. Auch für den Fischer, der keinen fängt, sonst auch nichts.

Tokio ist auch eine Stadt von Tempeln. Man kann sich nach der Hetze der üblichen Straßen dort Ruhe suchen. Und findet auch. Wo man keine findet, ist Ginza. Dort gibt es nicht nur edelste Läden, wo sich die großen Designer präsentieren, zu angemessen hohen Preisen naturgemäß, sondern Spielhallen, für die die Bezeichnung Hölle gut passen würde, wäre der Begriff Spielhölle nicht bereits besetzt. Wer die schlimmsten erleben will, soll nach Pachinko suchen. Das sind Maschinen, in denen eine Stahlkugel nach oben geschleudert wird und eine Kaskade aus Nägeln runter purzelt. Ich besitze davon eine handbetriebene, die etwa 100 qm Wohnfläche in eine Hölle verwandelt. Jetzt stelle man sich vor, die Maschine schießt motorisch ohne Unterlass, und fühlt sich nur wohl in Hallen, wo die Kollegen in einem Meter Abstand zueinander stehen. Der Kugelnachschub wird in großen Kästen auf Karren heran geschafft. Da genügen Japaner allen Vorurteilen über sie, wenn das reicht.

Kein Vorurteil ist indes, dass der Boden unter Tokio unruhig ist. Die kleineren Erdeben nimmt man nach einer Weile nicht mehr wahr. Aber manchmal wird man ordentlich geschüttelt. Keine Sorge, die Häuser sind sicher gebaut und fallen eher um, als dass sie in sich zusammenfallen. Nur das große Beben, das noch vor 2050 erwartet wird, könnte einem eine schlimme Zeit bereiten. Auch kein Anlass zur Sorge. Wenn die Prognosen stimmen, wird man die ersten Minuten ohnehin kaum überleben. 1923 waren gerade mal 142.000 Einwohner gestorben, 1703 waren es über 200.000 und die Stärke des Bebens 8,2 auf der jeder Hoffnung verschlossenen Richterskala. Der Tsunami von 2004 (Indischer Ozean) stand auf 9,3, Zerstörungskraft etwa 32 Mal so stark wie 1703. Könnte 2050 getoppt werden. Dann ist man aber auch in San Francisco nicht mehr sicher.

Wer in Tokio ist, sollte sich Zeit für die Gegend um die Kaiserlichen Paläste nehmen. Viele Parks sind offen zugänglich und haben etwas, was ich sonst nirgendwo gesehen habe: Teiche mit Meerwasser. Man holt das Meer mit Kanälen ins Land und freut sich über das Leben darin.


 

Seht die Welt durch meine Augen

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.

Robert Musil