Cities of the world

 
 

Prag gehörte zu den ersten Städten, die ich mir bewusst angesehen habe. D.h., ich wollte dorthin reisen, nur um diese Stadt zu sehen. Sonst muss ich irgendwohin reisen und sehe dadurch bedingt einen Ort. Prag musste ich hin.

Das war zu den schlimmsten Zeiten, die die Stadt je erlebt hat. Es herrschte die böseste Form des Kommunismus, die Ära Novottny. Trotzdem waren die Menschen, egal wer, unheimlich lieb. Die Sache hatte bereits in der Botschaft in Ost-Berlin gut angefangen, als ich mein Visum holte. Man erklärte mir, ich bräuchte keinen Stadtführer oder ähnlich. Ich soll einfach jemanden fragen. Möglichst gleichaltrig und vom anderen Geschlecht, stand in der Broschüre zu lesen, die in meinem Pass steckte. Tatsache!

Mein Freund und ich fanden gleich Anschluss und waren zwei Stunden nach unserer Ankunft unterwegs zur Wohnung von zwei hübschen Damen. Leider wurde nichts aus dem erhofften Event, weil so um Mitternacht die Schienen der Straßenbahn gleich zwei Reifen vom Auto aufgeschlitzt haben. Was macht eine Polizeipatrouille mit zwei angeheiterten Ausländern um Mitternacht? In den USA stellt man sie ans Auto, Hände nach oben auf´s Autodach, Beine breit. Wenn man auch noch nach gewissen Genussmitteln riecht, öffnen sich einem die Tore zu den staatlichen Gästehäusern - leider Einweg, raus kommt man erst, wenn der Richter es zulässt. Was machen die finsteren Kommunisten? Grüßen höflich, reparieren den zweiten Reifen.

Auch bei späteren Reisen habe ich die Leute ähnlich erlebt. Und es roch überall nach KUK-Monarchie. Die Küche war formidabel, die Weine aus Ungarn ebenso. Wir waren auf dem Trip nach Tokajer - nicht etwa weil wir tolle Weinkenner waren, sondern eher das Gegenteil. Den Namen hatten wir in der Schule gelesen - ich glaube in „Kleider machen Leute“. Später machte mein Freund bei einer Silvesterfeier in einem Hotel die Bekanntschaft mit Krimsekt. Er saß mit einem Mädchen allein, weil ich mit einer anderen Gruppe zusammen war. Er kam zu mir und sagte, dass der Kellner dauernd mit zwei Gläsern Sekt käme. Wir hätten doch nicht so viel Geld. Später merkten wir, dass der Kellner der Vater des Mädchens war - und vor allem kein Kellner, sondern ein Minister.

Derart nett überrascht von Mädchen, Ministern und Polizisten, sahen wir die Stadt sehr rosig. Ich glaube, sie hat diesen Charme auch in die Ära des Kapitalismus gerettet. Der Vater oder die Mutter des „Pils“, Pilsner Urquell, stammt zwar nicht aus Prag, gehört aber zur Kultur ebenso wie Turek, der Türke. Das ist kein Mensch sondern etwas, was in Wien gefangener Türke hier verkauft haben soll, Kaffee. Nach der Sage wollte der Kriegsgefangene ein Mädchen heiraten. Der Vater soll ihn gefragt haben, was er denn außer Kriegen noch kann. Ihm soll der Kaffee eingefallen sein. Obwohl dieser Türke positiv in die Geschichte eingegangen ist, werden solche, die nie hier waren, als bedrohliche Gestalten abgebildet. Zum Beispiel als Wollust neben dem Tod (unten)

Die jüdische Geschichte von Prag hat zu einer großen Sehenswürdigkeit geführt - einem Schichten-Friedhof. Weil auf dem jüdischen Friedhof Gräber nicht nach einer bestimmten Zeit „aufgehoben“ wurden, musste jahrhundertelang neue Erde aufgeschüttet werden. Als Ergebnis liegen die Toten hier in bis zu neun Schichten übereinander, und die Steine stehen dicht an dicht. Allerdings liegt der vermutlich berühmteste Jude von Prag, Franz Kafka nicht hier, dafür der Schöpfer einer wichtigen Figur, des Golem, Jehuda Liwa ben Bezallel.

Stunden habe ich verbracht auf der Karlsbrücke, auf der lauter Heilige, vom Wenzel angefangen, abgebildet sind, dazu noch Pieta und ein Türke. Was der wohl hier verloren hat? Jemand sagte, der sei der mit dem Kaffeehaus. Und der auf der Staroměstský orloj (Altstädter Astronomische Uhr)? Der steht neben dem Sensenmann und soll die Allegorie der Wollust darstellen. Türke als Wollust und Tod - nicht einmal den CSU-Politikern ist es bis heute gelungen, solche Assoziationen herzustellen. Na, denn!

Was mich in Prag an Kunst am meisten beeindruckt hat, war das Schwarze Theater (dort Laterna Magica genannt). Die Kunst stammt aus Japan (bunraku), soll vom Varietézauberer Ben Ali Bey und dem Magier Omar Pascha aufgegriffen und in Europa verbreitet worden sein. Die hören sich auch türkisch an. Aber, die Prager haben wohl noch mehr Angst vor den Persern. Dr. Mohammed Daraschekoh, der in den Geschichten von Gustav Meyrink (kein Jude, aber mit Werken im jüdischen Milieu von Prag) Menschen in ihre Bestandteile zerlegt, ist so eine Drohfigur. Wie übel der gewesen sein soll ist in „Das Präparat“ zu lesen (Wie durch ein Wunder ist das ganze Buch frei im Internet zu lesen).

Schlimmes hat Prag nicht etwa durch die Iraner oder die Türken erlebt, sondern durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg und die Retter, die Sowjets nach diesem. Nach dem Prager Frühling, d.h. nach dessen schnellem Ende, schien die Fröhlichkeit der Tschechen gebrochen. Doch sie ist wieder da.

Wer an Details interessiert ist, möge hier klicken, eine schöne Darstellung der Stadt.

 

Seht die Welt durch meine Augen

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.

Robert Musil