Cities of the world

 
 

Wenn es eine Stadt gäbe, zu der ich nicht reisen wollte, wäre sie Hongkong. Bevor ich dorthin fuhr, dachte ich, dort wäre etwa die Hölle los. Wenn man sich nur Filme anschaut, die in oder über Hongkong gedreht worden sind, kann der Eindruck auch stimmen. Ein Erlebnis von mir war sogar schlimmer als erwartet: Man stelle sich vor, etwa 10.000 junge Frauen, die die ganze Woche brav schweigen müssen, treffen sich unter einem Bankgebäude und unterhalten sich ungestört für zwei Stunden. Da hört sich eine Fabrikhalle eher paradiesisch an. Dennoch will ich das Erlebnis ungern vergessen. Der Ort ist unter dem Gebäude der HSBC, die Damen sind Philippina, die Dienstmädchen und Kindermädchen spielen. Für sie hat Sir Norman Foster die Parterre des Hauses frei gelassen, damit sie ihr Treffen nicht abbrechen müssen, wenn es aus Versehen regnet. Oder regelmäßig …

Wieso regnet? Können die nicht vorher wissen, dass Regen ansteht? Nein. In Hongkong kann sich das Wetter so schnell ändern, dass sogar Warnschilder in den oberen Etagen der Busse und Bahnen angebracht werden. Ich hielt das für eine Schnapsidee und wurde prompt eines Besseren belehrt. In einem Restaurant, in das ich mich bei Sonnenschein gesetzt hatte, flog nur 15 Minuten später der Tisch weg und ein Regen Marke „cats and dogs“ setzte ein. Für etwa zwei Stunden…

Wer unter Hongkong eine übervölkerte laute Stadt vorstellt, hat Recht und Unrecht zugleich. Nur eine halbe Stunde von der übervölkerten Stadtmitte entfernt gibt es Fischerinseln, die wie eine Idylle aussehen. Und um einen Tempel herum las ich, dass der Wanderweg 70 km lang wäre. Ein einsamer Wanderweg.

Anders als Leute, die Hongkong eher für Hölle halten, lebte ich eine Woche auch wie im Paradies: Fisch gibt es hier vom Feinsten und echt lebend frisch. Man setzt sich an einen Tisch am Straßenrand und lässt sich die Leckereien nacheinander schlachten und zubereiten. Leider nicht jedermanns Geschmack, weil manche von denen auf den Namen Frosch oder Schlange hören.

Einen wahrlich Atem beraubenden Blick bietet der Peak Tower auf dem Victoria Peak, auf die man mit einer Standseilbahn kommt. Drumherum wächst viel Wald, Bambushaine und riesige Farne. Kein Wunder, dass sich Kolonialbeamte und wohlhabende Geschäftsleute schon früh diesen Berg für den Bau exklusiver Villen reservierten. Da oben kann man auch schön spazieren gehen. Man wandert von der Lugard Road (vor dem Peak Tower) zur Harlech Road, auf einem von tropischen Bäumen gesäumten Rundweg einmal um den Victoria Peak; etwa eine Stunde.

Das Gegenstück zu den edlen Häusern hier oben findet man in der Innenstadt, aber nicht leicht. Denn anders als die Bidonvilles oder Favelas, deren Häuser aus Blechkanistern, Pappe und Wellblech zusammen gehäuft werden, bilden die Slumgebäude von Hongkong die „Krone“ von Häusern. Sie stehen auf dem Dach. Jedenfalls leben deren Einwohner näher bei Gott als die regulären Mieter.

Meinen gruseligsten Hotelaufenthalt im ganzen Leben verdanke ich dieser Stadt. Dazu muss man wissen, dass ich davor drei Wochen auf Borneo im Regenwald verbracht hatte. Selbst die Aussicht, beim Schlafen von wilden Tieren oder Kopfjägern (theoretisch) überrascht zu werden, wurde von diesem Hotel getoppt. Ich ließ mich von einem Schlepper in ein Hotel bringen, wo ich ein Zimmer ohne Fenster bekam, dessen Tür sich nicht abschließen ließ. Draußen sah es aus wie im Asylantenheim (kein Scherz und nicht Theorie). Die Räume waren voll mit Etagenbetten, in denen in drei Stockwerken Chinesen und Philippinen schliefen. In der düsteren Beleuchtung sahen sie aus wie die Killer in dem Film „Die tollen Abenteuer des Monsieur L.“, ein Slapstick mit Jean-Paul Belmondo. Eine ruhige Nacht wurde es nicht. Zum Glück gibt es die Killer nur im Film. Diese hier waren harmlose Arbeiter aus der Provinz. Dennoch fühlte ich mich nach dieser Nacht wie neu geboren.

Draußen vor der Tür des Hauses war die Stadt aber kunterbunt gewesen. Hongkong schwelgt nahezu in Licht. Las Vegas lässt grüßen. Egal wie viel Mühe sich die Amis geben, um Las Vegas bunt und laut zu machen, mit dieser Stadt können sie nicht mithalten.

Ein Hongkong-Besuch ist bestimmt keine verlorene Zeit. Eher ein tolles Erlebnis besonderen Kalibers. Selbst wenn man den Rest vergisst, den Flughafen von Sir Norman Foster wird man nicht vergessen können. Er ist einfach Sonderklasse.  Chek Lap Kok: innerhalb von fünf Flugstunden kann von hier aus ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung erreicht werden. Als ich hier weilte, konnte aber nicht einmal die Bevölkerung von Hong Kong erreicht werden: Fehlplanung megamäßig!

 

Seht die Welt durch meine Augen

Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.

Robert Musil