Ein ganz altes Dorf

 

Wer alles schon hier gewesen ist … 


Als die Menschen dem Goldenen Vlies nachjagten, mussten alle, alle hier vorbei. Sie kamen aus dem Süden, wo die Griechen lebten, und wollten in den Norden, wo das Goldene Vlies gewesen sein soll. Die Seefahrer verschwanden aber auf eine unerklärliche Weise und kamen nie wieder. Bis ein großer Held ein Wunder vollbringen konnte. Er hieß Jason und brachte das Goldene Vlies mit zurück. Was dies war, darüber kann man sich trefflich streiten. Wo Beylerbeyi liegt, darüber wissen aber viele Leute Bescheid. Etwas zu viele. Denn aus dem einstigen Fischerdorf hat sich ein Touri-Ort entwickelt, wo sich die Welt einfindet, nicht so mondän wie in Nizza, nicht so laut wie auf Malle, leider aber auch nicht so beschaulich, wie am Anfang der Geschichte des Ortes.

Den Ort hatte einer der ganz großen der Weltgeschichte, der römische Kaiser Konstantin der Große, für eine besondere Aufgabe auserkoren: Hier stand sein großes Kreuz, das allen Einwohnern und Zugereisten verkünden sollte, dass dieses Land nunmehr christlich geworden war - wie der Kaiser auch. Das Kreuz steht naturgemäß nicht mehr, aber sein Name existiert noch: Hier steht wohl die einzige Kreuzmoschee der Welt. Der Kaiser hatte neben seiner Insignien der Macht auch Rom mitgebracht, seine Hauptstadt, die seinen Namen trug, Konstantinopel, hatte er zur Metropole des (Ost)Römischen Reiches auserkoren. Von Rom leitet sich der türkische Name für Grieche ab: rum.

Beylerbeyi guckt auch heute noch westlich gerichtet Richtung (vergangene) Hauptstadt. Istanbul war zuerst von 326 a.D. bis 1453 a.D. Hauptstadt des Oströmischen Reiches und besaß viele Namen, so auch η Πόλη, i Póli (Die Stadt), bei den Griechen, Nova Roma bei den Lateinern, Miklagarð bei den Skandinaviern, und schlicht Kaiserstadt Car'grad bei den Russen.

Bei den Türken hieß sie bei ihrer Gründung nix, weil die Türken ganz wo anders waren. Als sie dann 1453 die Stadt eroberten, gaben sie der Stadt viele Namen, so auch درسعادت Der-i saadet „Das Tor zum Glück“, إسطنبول Istanbul, قسطنطينيه Kostantiniyye; Stambul.

Konstandinoúpoli „Stadt des Konstantin“ hieß die Stadt auch noch, weil die Griechen es so wollten. Auch in Beylerbeyi lebten 500 Jahre nach dem Ende von Byzanz viele Griechen, und zwar unweit der Stelle, wo Konstantin der Große sein Kreuz hatte aufstellen lassen, lebt mancher Grieche noch von Gemüsezucht. Auch wenn Beylerbeyi ein Ortsteil von Istanbul ist, denken die Einwohner nicht im Entferntesten daran, sich zu ergeben. Wer in die Stadt fährt, fährt nach Istanbul, und die Gäste, die die vielen Lokale füllen, kommen aus Istanbul.

Das größte Ereignis der Weltgeschichte, das hier in der Nähe stattgefunden haben soll, ist die Sintflut. Dort, wo Jason den Bosporus verlassen hat, soll vor etwa 8.000 bis 10.000 Jahren das Ende eines Baches gewesen sein, der sich in das Schwarze Meer ergoss, damals noch ein Binnensee. Als die Eiszeit zu Ende ging, wurde das arme Gewässer vom Mittelmeer überwältigt und musste seinen Spiegel um 100 m anheben. Dafür starb alles, was darin gelebt hat, aus, und das Meer ist auch heute noch unterhalb von 200 m eine Ansammlung von Schwefligsäure. Man riecht dies nicht in Beylerbeyi, aber man muss mit einer Strömung leben, die stärker sein kann als auf dem Rhein. Flüsse wie Don und Donau bringen so viel Wasser mit, dass sie dem Mittelmeer in Raten zurück geben, was es einst in einer Husche hergeströmt hat. Rache ist süß …

Istanbul war von 326 bis 1923, also schlappe 1600 Jahre, Hauptstadt gewesen. Beylerbeyi stand etwa 2000 Jahre ante portas. Heute nicht mehr, eine Brücke, die eigentlich bereits Xerxes hatte bauen wollen, weil er die Niederlage seines Vaters Dareios bei der Schlacht von Marathon rächen wollte, schließt den Ort mit Istanbul kurz. Der Ort, an dem Poseidon mit 300 Peitschenhieben bestraft wurde, weil er die Brücke zerstört hat, befindet sich vermutlich etwa 6 km nördlich.

Wer noch alles hier gewesen ist, wird noch beschrieben. Auf mindestens ein Ereignis kann sich der Ort als Stätte einer besonderen Begegnung ganz stolz sein: Im Jahre 1935 tagte hier der erste Weltfrauenkongress, Schirmherr: Kemal Atatürk. Seine Meinung zum Thema Frau und Gesellschaft lautete: Ein Volk, das versucht, ohne die Intelligenz seiner Frauen auszukommen, ist wie ein Mensch, der auf einem Bein vorwärts kommen will.